Nie gut genug? Mein Blick auf NeuroGraphik® durch die Traumabrille

Früher fand ich mich oft zu: zu ängstlich, zu sensibel, zu langsam, zu leise – kurz gesagt: zu schlecht. 

Und genau das zeigte sich dann auch beim Zeichnen. Selten war mir eine meiner Zeichnungen gut genug, geschweige denn, dass ich sie schön fand. (Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich meine Bilder regelmäßig mit denen meines Master-Trainers verglich…)

Heute ist das anders. Denn spätestens seit meiner Ausbildung zum Coach für Neurosystemische Integration® und ganzheitlich-integrative Traumaarbeit sehe ich vieles durch eine neue Brille: die Traumabrille. Mit ihr erkenne ich viele meiner früheren „Unzulänglichkeiten" nicht mehr als Fehler, sondern als ganz normale Reaktionen auf unnormale Ereignisse. 

Wenn du beim Zeichnen oft merkst, 

– dass du die Bilder der anderen schöner findest als deine,

– dass du dir „zu langsam“ vorkommst und gerne mehr Zeit hättest,

– dass du schnell müde wirst und lange Zeichensessions dich erschöpfen,

– dass du oft an dir zweifelst und nicht sicher bist, ob du es richtig machst,

– dass du dich unbegabt fühlst, einfach nicht kreativ genug 

und manchmal denkst, du solltest es vielleicht lieber ganz lassen - dann ist dieser Artikel für dich! 

Hier erfährst du

– woher diese Gedanken und Gefühle beim Zeichnen kommen können,

– worum es beim neurographischen Zeichnen wirklich geht und warum das so herausfordernd sein kann,

– und wie du einen traumasensiblen Umgang mit dir selbst beim Zeichnen finden kannst.

Woher kommen diese Gedanken und Gefühle beim Zeichnen?

Wenn wir etwas Neues lernen – wie die NeuroGraphik – stellen sich zunächst viele Fragen:

Wie zeichne ich eine neurographische Linie? Wie viel soll ich abrunden? Wonach wähle ich die Farben aus? Wozu sind Feldlinien gut? Woher weiß ich, was ich fixieren soll?

Am Anfang sind wir deshalb oft verunsichert. Wir möchten alles richtig machen, suchen Orientierung und vergleichen uns mit anderen. Das ist völlig normal. So lernen wir schließlich: indem wir uns an denen orientieren, die es schon besser können. 

Doch genau das kann schnell herausfordernd werden – besonders, wenn du schon mit dem Gefühl unterwegs bist, nicht gut genug zu sein. Wenn du gelernt hast, dich ständig zu hinterfragen. Wenn du dich oft unzulänglich fühlst oder meinst, du müsstest dich besonders anstrengen, um „mithalten“ zu können.

Und vielleicht ist dir das gar nicht neu. Vielleicht kennst du diese Zweifel und diesen inneren Druck aus vielen anderen Lebensbereichen. Dann lohnt sich ein Blick durch die Traumabrille.

Worum es beim neurographischen Zeichnen wirklich geht – und warum das so herausfordernd sein kann

Sobald wir die Grundlagen der NeuroGraphik verstanden haben, geht es um etwas Tieferes:

Darum, die Aufmerksamkeit immer mehr nach innen zu richten.

Darum, den eigenen Impulsen zu folgen.

Darum, die eigenen Gefühle, Körperempfindungen und inneren Bilder zum Maßstab zu machen – und nicht mehr das, was jemand anders vorgibt.

Aber genau das fällt vielen schwer. Vielleicht auch dir.

Denn wenn du gelernt hast, Sicherheit vor allem im Außen zu suchen – bei anderen Menschen, in Regeln, Bewertungen, Strukturen – dann kann es sich seltsam oder sogar unsicher anfühlen, dich beim Zeichnen wirklich auf dich selbst zu verlassen.

Gerade bei Menschen mit einer Traumageschichte ist das kein Zufall. Es kann gut sein, dass du sehr früh gelernt hast, mit deiner Aufmerksamkeit im Außen zu sein – um rechtzeitig zu merken, wenn etwas kippt oder gefährlich wird. Das war früher vielleicht überlebenswichtig. Und dann ist es nur logisch, dass es dir heute schwerfällt, dich nach innen zu orientieren.

Wenn du also beim Zeichnen das Gefühl hast, „falsch“ zu sein oder „es nicht zu können“ – dann ist das kein persönliches Versagen, sondern eine verständliche Schutzreaktion.

Du bist nicht zu langsam.

Du bist nicht unbegabt.

Du bist einfach auf einem Weg.

Und das Gute ist: Du kannst heute lernen, es anders zu machen. Schritt für Schritt. In deinem Tempo. 

Wie kann ich das ändern? – Ein traumasensibler Umgang mit mir beim Zeichnen

Wenn du dich beim Zeichnen immer wieder überfordert, erschöpft oder unzulänglich fühlst, hilft es, mit einem neuen Blick auf dich zu schauen – einem traumasensiblen Blick.

Ich arbeite dabei gern mit vier Schritten, die sich auch beim Zeichnen bewährt haben: Erkennen – Verstehen – Regulieren – Integrieren.

Erkennen

Der erste Schritt ist, überhaupt wahrzunehmen, was gerade in dir lebendig ist.

Welche Gedanken tauchen auf? Welche Gefühle zeigen sich? Was nimmst du in deinem Körper wahr?

Wichtig dabei ist die Haltung: Du brauchst nichts bewerten oder analysieren. Es geht einfach nur darum, zu beobachten – mit einer Haltung, wie du sie vielleicht aus der Meditation kennst: freundlich, neugierig, offen. Diese Beobachterposition schafft Abstand.

Du bist nicht dein Gefühl – du nimmst ein Gefühl wahr.
Du bist nicht dein Gedanke – du bemerkst, dass da ein Gedanke ist.

Allein das kann schon viel bewirken: Es entsteht Raum zwischen dir und dem, was gerade auftaucht.

Verstehen

Wenn du beginnst zu verstehen, woher deine Reaktionen kommen – zum Beispiel, dass deine Angst vor Fehlern oder dein Perfektionismus alte Schutzstrategien sein könnten – dann verändert sich etwas.

Vielleicht war es früher wichtig, wachsam zu sein. Vielleicht hast du - so wie ich - gelernt, dich anzupassen, leise zu sein, dich nicht zu zeigen – weil es anders nicht sicher gewesen wäre.

Solche Muster wirken bis heute – oft ohne, dass wir sie bemerken.

Sie zeigen sich besonders dann, wenn wir uns unsicher fühlen. Zum Beispiel, wenn wir etwas Neues lernen wie die NeuroGraphik. Vielleicht fragst du dich dann, ob du alles „richtig“ machst. Vielleicht merkst du, dass du dich zurückhältst – oder dass dich ein Gefühl von Anspannung begleitet.

Manchmal mischt sich sogar eine leise Angst dazu: Was, wenn beim Zeichnen etwas auftaucht, was mich überfordert? Auch das ist nachvollziehbar. Denn NeuroGraphik kann tief berühren – gerade, wenn wir sie als inneren Prozess verstehen. Wenn du erkennst, dass deine Reaktionen einen Ursprung haben – in deiner Geschichte, in deiner ganz eigenen Logik des Überlebens – dann kannst du aufhören, dich dafür zu verurteilen.

Dann wird klar: Du bist nicht falsch. Du hast gute Gründe, dich so zu fühlen.

Das braucht manchmal etwas Wissen über Trauma, um die Zusammenhänge überhaupt sehen zu können. Aber es lohnt sich – weil dadurch eine neue Haltung entstehen kann: weniger hart, weniger fordernd, und dafür viel näher an dir selbst. 

Regulieren

Manchmal ist das, was wir fühlen oder wahrnehmen, ganz schön viel. Gerade beim Zeichnen kann es passieren, dass alte Themen, innere Bilder oder starke Emotionen auftauchen – oft ganz unerwartet. Dann ist es wichtig, dass du dich nicht einfach „hindurchzeichnest“, sondern gut für dich sorgst.

Regulation bedeutet: dich in herausfordernden Momenten selbst unterstützen zu können. Das kann ganz einfach anfangen – zum Beispiel mit einem bewussten Atemzug. Mit einer Pause. Mit der Entscheidung, kurz aufzustehen oder etwas ganz anderes zu tun.

Regulation heißt nicht, dass du dich „zusammenreißen“ musst. Es geht vielmehr darum, dir selbst Halt zu geben – so wie du es vielleicht einem Kind oder einer guten Freundin geben würdest: liebevoll, präsent, geduldig.

Auch hier hilft es, aufmerksam zu beobachten: Was tut mir gerade gut? Was brauche ich jetzt?

Manchmal ist es das Abrunden. Oder eine bestimmte Farbe. Manchmal hilft der Blick auf etwas Schönes – ein Foto, eine geliebte Fellnase oder der Blick aus dem Fenster in die Natur. Und manchmal ist es genau richtig, das Bild einfach zur Seite zu legen – und später weiterzumachen.

Integrieren

Mit der Zeit entsteht durch all das etwas Neues: eine andere Erfahrung. Du merkst vielleicht, dass du heute anders reagieren kannst als früher – oder dass du mitten im Zeichnen innehalten und für dich sorgen kannst. Dass du nicht mehr automatisch in alte Muster rutschst. Dass du eine Wahl hast.

Das ist Integration. Es heißt nicht, dass alles leicht wird oder sich nie wieder schwierige Gefühle zeigen. Aber es heißt: Du kannst ihnen heute anders begegnen.

Mit mehr Bewusstheit.

Mit mehr Mitgefühl.

Und mit dem Wissen, dass du dich nicht mehr von jeder Welle überschwemmen lassen musst.

Es geht nicht darum, perfekt zu werden – sondern darum, dir selbst neue Wege zu eröffnen. Vielleicht erst nur auf dem Papier. Und nach und nach auch im Leben. 

Fazit: Ein liebevoller Blick

Vieles, was ich früher an mir kritisiert oder nicht verstanden habe, ergibt heute Sinn – durch die Trauma-Brille betrachtet. Ich erkenne Muster, die früher einfach da waren, ohne dass ich sie benennen konnte. Und ich sehe, wie eng mein Erleben beim Zeichnen mit meiner Geschichte verbunden ist.

Das Allerbeste an dieser Brille: Sie hat mir einen liebevollen Blick auf mich selbst ermöglicht.

Weg von der Frage: Was stimmt nicht mit mir? Hin zu: Was brauche ich – und wie kann ich heute gut für mich sorgen?

Vielleicht kennst du dieses Gefühl auch – nicht gut genug zu sein, zu sensibel oder irgendwie falsch. Dann hoffe ich, dass dieser Artikel dir Mut gemacht hat, dich selbst mit anderen Augen zu sehen. Nicht durch die Brille der Selbstkritik, sondern mit Mitgefühl, Neugier und der leisen Zuversicht: Es kann leichter werden – gerade, wenn du deinen eigenen Weg gehst.

Inspirationen zum Lernen und Wachsen

Möchtest du wissen, wie du innere Blockaden überwindest und  über dich hinaus wächst? Dann trag dich ein für meine Inspirationen.

2 Kommentare

  • Ich bin jetzt ganz neu mit Neurographik angefangen und hatte genau das Problem, dass ich auf einmal eine starke Angst hatte, etwas falsch zu machen. Ich hatte meiner Tochter die Neurographik erklärt, und da kam am anderen Tag der Glaubenssatz.:“Du hast etwas falsch erklärt“. Mir ging es richtig schlecht, obwohl ich intuitiv die Malweise aufgenommen und schon direkt an meine Bedürfnisse angepasst habe. Das darf aber nicht sein, hat mein Verstand gesagt, denn du musst das erst mal ganz genau lernen mit den Regeln und so. Aber ich bin ein intuitiver Mensch und dadurch sehr schnell. Ich muss akzeptieren, dass ich, obwohl etwas neu ist, es schon direkt an mich und meine Bedürfnisse anpasse. Das funktioniert ganz automatisch und es ist richtig und gut. Mir hat dein Artikel sehr gut gefallen, weil er genau das jetzt aufgegriffen hat, was in mir die letzten Tage geschehen ist.Es ist sozusagen noch mal das Fazit von dem, was ich in der letzten Woche erlebt habe.
    Vielen Dank für diesen tollen Artikel in Liebe und Verbundenheit. Kerstin
  • Liebe Kerstin,

    vielen lieben Dank für deinen Kommentar – deine Worte haben mich sehr berührt. Es freut mich von Herzen, dass du dich in meinem Artikel wiederfinden konntest und dass er für dich genau zur richtigen Zeit kam. Ich finde es so mutig und stärkend, wie du mit deinem Erleben umgehst – und wie klar du für dich sorgst. Und ich danke dir von Herzen fürs Teilen!

    Alles Liebe für dich, Jean

Was denkst du?

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