Stress beim Zeichnen? Was du tun kannst, wenn NeuroGraphik nicht entspannend wirkt

„Neurographische Linien zu zeichnen ist so entspannend.“

Das höre ich ganz oft von meinen Teilnehmerinnen und vielleicht hast du diese Erfahrung auch schon gemacht.

Doch manchmal ist neurographisches Zeichnen alles andere als entspannend, sondern macht eher Stress. 

Wutausbrüche, Tränen, Verzweiflung … das alles habe ich während des Zeichnens schon erlebt. Vieles davon hat sich beim Zeichnen aufgelöst. Aber manchmal bin ich durch das Zeichnen in Zustände geraten, in denen es mir nicht gut ging und aus denen ich nur schwer wieder heraus kam. Dann wurde das neurographische Zeichnen eher zu einer stressigen Erfahrung.

Wenn dich die NeuroGraphik manchmal an deine Grenzen (oder darüber hinaus) bringt, und du beim Zeichnen von Gedanken, Gefühlen oder Körperempfindungen überflutet wirst, die du vielleicht lieber gar nicht hättest, dann erfährst du in diesem Artikel, was du beachten solltest, um dich möglichst gar nicht erst in so einen Zustand hinein zu zeichnen und was du tun kannst, falls es doch passiert.

NeuroGraphik und Stress 

Beim neurographischen Zeichnen geht es ja oft um sehr persönliche Themen, die uns im Innersten berühren. Um solche Themen bearbeiten zu können, müssen wir uns in einem relativ ausgeglichen Zustand befinden und uns ausreichend sicher fühlen. 

Manchmal ist es so, dass wir ganz entspannt mit dem Zeichnen starten und uns dann erst die Beschäftigung mit unserem Thema Stress macht, weil belastende Erfahrungen und Erinnerungen wieder präsent werden. Dabei können wir in einen Zustand geraten, in dem es uns nicht gut geht und in dem wir nicht mehr in der Lage sind, unser Thema zu be- und verarbeiten. Deshalb ist es wichtig, diese Zustände früh genug zu erkennen und zu wissen, wie wir damit umgehen können. Dafür ist es hilfreich zu wissen, wie unser Nervensystem auf Stress reagiert. 

Das Stresstoleranzfenster (Window of tolerance)

Das Stresstoleranzfenster ist ein Modell von Daniel Siegel, dass die unterschiedlichen Stressniveaus (Erregungsniveaus) und die dazu gehörenden Stressreaktionen unseres autonomen Nervensystems einfach erklärt. Es hilft dabei, die eigenen Reaktionen zu erkennen und einzuordnen. 

Stresstoleranzfenster

[Abbildung: Stresstoleranzfenster nach Daniel Siegel]

Balance: optimaler Grad der Erregung

Im mittleren Bereich - im Toleranzfenster - haben wir einen optimalen Erregungsgrad, mit normalen Schwankungen während des Tages. Hier befinden sich Sympathikus (Aktivierung) und Parasympathikus (Entspannung) in einem dynamischen Gleichgewicht, das sich immer wieder reguliert. So können wir mit Herausforderungen und Stress gut umgehen und auf die Anforderungen und Gegebenheiten der Umwelt angemessen reagieren. 

Übererregung

Bei zu viel Stress kommst du in die Übererregung. Das bedeutet, dass dein Nervensystem in den Überlebensmodus schaltet. Es wird Energie mobilisiert, um da möglichst schnell wieder raus zu kommen: du bist im Flucht- oder Kampfmodus, hältst Ausschau nach Gefahr, empfindest möglicherweise starke Emotionen, wie Angst oder Wut und das klare Denken fällt dir schwer.

Untererregung

Wenn der Extremstress zu lange anhält (weil Kampf oder Flucht nicht gelingen oder keine Option sind), fährt dein System runter. Das Nervensystem ist immer noch im Überlebensmodus, schaltet jetzt aber in einen extremen Sparmodus (Shutdown). Dabei werden körperliche und emotionale Empfindungen nur noch gedämpft wahrgenommen, man fühlt sich handlungsunfähig, energielos, erstarrt.

NeuroGraphik und das Stresstoleranzfenster

Grundsätzlich ist an den Zuständen der Über- und Untererregung nichts Schlechtes, denn sie sorgen ja für unser Überleben. Nun geraten wir ja beim neurographischen Zeichnen nicht wirklich in Gefahr, aber unser Nervensystem ist da oft anderer Meinung. Denn wenn wir uns mit herausfordernden persönlichen Themen beschäftigen, kann das durchaus Erinnerungen an frühere - oft unbewusste - bedrohliche Situationen wecken und uns in einen Überlebensmodus versetzen. Entspannung, Lernen, Kreativität und Flow sind dann nicht möglich. Das funktioniert nur, wenn wir uns innerhalb des Toleranzfensters befinden. Dort fühlen wir uns offen und neugierig, haben Lust, spielerisch etwas Neues zu probieren und haben Zugang zu unserer Kreativität. Also alles, was wir brauchen, um neurographisch zu zeichnen.

Den Stresslevel einschätzen

Um zu erkennen, wo du dich in Bezug auf das Stresstoleranzfenster gerade befindest, ist es hilfreich deine Körpersignale, Gedanken und Gefühle zu beobachten. In der Abbildung kannst du sehen, welche Symptome bei welchem Stresslevel auftauchen können. 

Grad der Erregung und Symptome

[Abbildung: Stresslevel und Symptome]

Daran erkennst du, dass du dich beim Zeichnen im Stresstoleranzfenster befindest 

Deine Linien fließen wie von alleine über das Papier und sie wirken sehr lebendig. Es fällt dir leicht, dich zu konzentrieren und deine Gedanken sind klar. Du fühlst dich relativ entspannt, dein Atem ist tief. In diesem Zustand kannst du produktiv und kreativ an deinem Thema arbeiten. Du bekommst neue Ideen und hast vielleicht auch Erkenntnisse. 

Signale für Übererregung beim neurographischen Zeichnen

Das Zeichentempo ist eher höher, die Linien zackiger. Vielleicht bemerkst du, dass der Stift nicht mehr locker in deiner Hand liegt, dass deine Haltung eher angespannt ist und du den Atem anhältst. Du kannst dich schlecht konzentrieren und verfängst dich in negativen Gedankenschleifen, aus denen du nicht heraus kommst.

Wenn sich dieser Zustand verstärkt, werden deine Atmung und dein Puls schneller. Es kann sein, dass du schwitzt und zappelig oder zittrig bist. Vielleicht fühlst du dich überwältigt, überfordert oder überflutet von starken Emotionen wie Wut oder Angst. Und vielleicht hast du den Impuls, deine Zeichnung zu zerstören oder möchtest aufspringen und weglaufen.

Daran erkennst du Untererregung beim neurographischen Zeichnen 

Das Zeichentempo ist langsam, die Linien haben wenig Variabilität, sie wirken eher unlebendig. Du fühlst dich müde und energielos. Vielleicht ist dir kalt oder du nimmst deinen Körper gar nicht wahr. Das Denken fällt eher schwer. Dir erscheint alles sinnlos, du weißt gar nicht mehr, warum du das eigentlich machst. Vielleicht zeichnest du immer langsamer oder hörst sogar ganz auf zu zeichnen. 

In Balance beim neurographischen Zeichnen - das kannst du tun

Das Beste ist natürlich, dass du gar nicht erst in so einen dysregulierten Zustand gerätst. Deshalb habe ich hier einige Tipps, was du beachten solltest, um entspannt zu bleiben - vor und während des Zeichnens. 

Das kannst du vorm Zeichnen tun 

Grundsätzlich kannst du schon vorm Zeichnen einige Dinge beachten, die dir helfen, während des Zeichenprozesses in einem guten Zustand zu bleiben. 

1. Achte auf dich und deinen Zustand (und sorge gut für dich)

Zeichne nur, wenn es dir (relativ) gut geht. Wenn du vorm Zeichnen schon müde oder gestresst bist, könnte es eine gute Idee sein, erstmal auf andere Art und Weise für dich zu sorgen. 

Und setz dich bitte nicht unter Druck. Weder zeitlich, noch im Hinblick auf Ergebnisse. Bleib in einer offenen, annehmenden Haltung. Was zählt, ist der Prozess - nicht dein Bild als Endergebnis. 

2. Wähl dein Thema mit Bedacht

Je weniger Erfahrung du mit NeuroGraphik hast, desto kleiner darf dein Thema sein. Wenn du noch keinen Basiskurs gemacht hast, beginne am besten erst mit schönen, positiven Themen (z.B. Freude oder Dankbarkeit -> hier findest du ein Video zum Thema Dankbarkeit). 

3. Ressourcen bewusst machen

Hast du einen Ressourcen-Anker? Ein schönes Bild, ein Stein oder einen anderen Gegenstand, den du mit etwas Schönem verbindest? Leg dir diesen Gegenstand in dein Blickfeld. 

Das kannst du tun, wenn du aus der Balance kommst

Wenn du während des Zeichnens in einen Zustand der Dysbalance gerätst, ist es grundsätzlich wichtig, dass du dich wieder im Hier und Jetzt orientierst und dass du wieder in Kontakt mit dir (deinem Körper) und deiner Umwelt kommst. 

Dich orientieren

Schau dich in deinem Raum um. Drehe dabei langsam den Kopf und betrachte alles wie ein Gemälde. Du kannst dabei auch die Gegenstände oder Farben, die du siehst, benennen. Das gibt deinem Nervensystem das Signal, dass du in Sicherheit bist. 

Kontakt aufnehmen

Besonders hilfreich ist der Kontakt zu anderen - freundlichen - lebenden Wesen. Vielleicht kannst du eine Freundin anrufen, ein Haustier streicheln oder Kontakt zur Natur aufnehmen. 

Dich runter regulieren

Wenn dein Nervensystem übererregt ist, hilft alles, was beruhigt und verlangsamt: langes ausatmen, seufzen, sanfte Selbstberührung, sich erden. 

Dich hoch regulieren

Wenn dein Nervensystem sich in einem untererregten Zustand befindet, ist alles hilfreich, was sanft aktivierend oder anregend wirkt: aufstehen, bewegen, sich recken und strecken, schütteln oder sanft massieren. 

Wann du dir Unterstützung holen solltest

Wenn du die Erfahrung machst, dass du beim Zeichnen (oder im Alltag) immer wieder sehr schnell aus der Balance gerätst und Schwierigkeiten hast, dich zu regulieren, dann könnte das daran liegen, dass dein Nervensystem sich in einer chronischen Über- oder Untererregung befindet. Die Ursachen können in  belastenden Stresserfahrungen in der Kindheit liegen, die uns oft gar nicht als solche bewusst sind (Stichwort Bindungs- und Entwicklungstrauma). Solche prägende Erfahrungen können dazu führen, dass das Toleranzfenster kleiner wird und die Stressresilienz geringer ist. Dann ist es hilfreich, sich eine professionelle Unterstützung zu holen, um wieder mehr Selbstregulation zu lernen. 

Übung macht die Meisterin 

Stress ist ja nicht per se schlecht und das Ziel soll auch nicht sein, Stress völlig zu vermeiden, Aus meiner Sicht geht es darum, für die Symptome wahrnehmend zu werden. Das Gute an der NeuroGraphik ist ja, dass wir uns mit jeder Zeichnung darin üben, achtsam wahrnehmend für uns selbst zu werden. So können wir die Signale für steigenden Stress mit der Zeit immer früher erkennen. Und wenn ich mich dann entscheiden kann, wie ich mit dem Stress umgehe - statt mich ausgeliefert zu fühlen - dann bin ich der Meisterschaft schon ein gutes Stück näher gekommen. 

Inspirationen zum Lernen und Wachsen

Möchtest du wissen, wie du innere Blockaden überwindest und  über dich hinaus wächst? Dann trag dich ein für meine Inspirationen.

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