Neulich habe ich eine Mail mit folgender Frage bekommen:
„Ich interessiere mich für die Neurographik und habe gelesen, dass man auch eine PTBS damit bearbeiten kann? Geht es auch bei komplexen Traumata?“
Vielleicht sollte ich dazu schreiben, dass die Mail von einer Betroffenen kam - nicht von einer interessierten Therapeutin. Da musste ich erstmal schlucken. Die Vorstellung, dass jemand ganz allein mit NeuroGraphik an einer komplexen Traumatisierung arbeitet, löste in mir Sorge und Mitgefühl aus. Und ja - auch den Wunsch, helfen zu können.
Ich schrieb zurück, dass NeuroGraphik durchaus hilfreich sein kann, um mit den Folgen traumatischer Erfahrungen besser zurecht zu kommen - etwa, indem man Ressourcen entdeckt und aktiviert, innere Bilder ausdrückt, alte Muster erkennt oder neue Handlungsspielräume entdeckt. Und - verantwortungsvoll, wie ich bin - empfahl ich natürlich, das nicht alleine zu machen, sondern sich zur Traumabearbeitung eine gut ausgebildete und erfahrene Begleitung zu suchen.
Nun weiß ich aber, auch aus eigener Erfahrung, dass das leichter gesagt, als getan ist. Eine passende Therapeutin zu finden kann sich anfühlen wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Da erscheint mir der gute Rat, sich Unterstützung zu holen, fast schon zynisch. Und mir stellt sich die Frage:
Wie kann ich dazu beitragen, dass sich Menschen mit solchen Themen und Fragen nicht allein gelassen fühlen?
Einerseits möchte ich ja niemanden ermutigen, Trauma-Arbeit mit NeuroGraphik in Eigenregie zu machen - denn ganz ohne ist das nicht.
Andererseits bin ich überzeugt davon, dass Selbstwirksamkeit ein wichtiger Schlüssel ist. Und ich glaube an Hilfe zur Selbsthilfe.
Außerdem habe ich die Vermutung, dass viele Menschen, die mit NeuroGraphik arbeiten, sich beim Zeichnen so oder so mit traumabedingten Themen befassen - ob nun bewusst oder unbewusst. Das kenne ich aus eigener Erfahrung. Nur wusste ich damals, als ich mit NeuroGraphik anfing, noch gar nicht, dass meine Schwierigkeiten mit belastenden Erlebnissen in meiner Kindheit zu tun haben könnten - Erlebnissen, die ich niemals als „Trauma“ erkannt hätte.
„Das Wissen über Trauma hat die Kraft, die Welt zu verändern." - Verena König
Heute ist das Wissen über Trauma und seine Folgen zum Glück viel verbreiteter. Wenn du also vermutest, oder sogar weißt, dass du unter Traumafolgen leidest und dich fragst, ob dir NeuroGraphik dabei helfen könnte - und was du dabei beachten solltest - dann ist dieser Artikel für dich!
Wichtig zu wissen:
Ich bin NeuroGraphik®-Trainerin und zertifizierte Coachin für NI Neurosystemische Integration® | traumasensibles Coaching, aber keine Therapeutin. Was ich hier teile, sind persönliche Erfahrungen und Impulse - als jemand, die selbst betroffen ist und heute andere traumasensibel begleitet.
Mein Dauerthema, zu dem ich während der Ausbildung zur NeuroGraphik-Trainerin zeichnete, war meine Selbstständigkeit - beziehungsweise eher die Hürden, die ich dabei überwinden musste. Und da insbesondere: meine Angst vor Sichtbarkeit. (Hier erfährst du mehr über meine Heldenreise in die Sichtbarkeit mit NeuroGraphik.)
Ja, eine Ahnung hatte ich schon, woher dieses Thema kam. Aber wie tiefgreifend es war ... das habe ich erst viel später verstanden - nämlich, als ich zum ersten Mal etwas über Bindungs- und Entwicklungstrauma erfuhr. (Hier kannst du lesen, wie ich herausfand, was hinter meiner Angst vor Sichtbarkeit steckte.)
Beim Zeichnen war ich schnell gestresst bis überfordert, wurde manchmal von Emotionen überflutet. Meine Zeichnungen waren mir nie gut genug - zumindest sagten das mein innerer Kritiker und meine Perfektionistin. Außerdem hatte ich einen starken inneren Antreiber, der mich immer wieder drängte, nur ja jeden Abgabetermin einzuhalten. Dass ich beim Zeichnen meinen Körper selten wahrnahm (was ja auch ein Teil der Achtsamkeit in der NeuroGraphik ist), störte mich weniger.
Heute weiß ich, dass ich eine geringe Stresstoleranz habe - und dass das zu den Folgen früher traumatischer Erfahrungen gehören kann. Genauso wie diese fiesen inneren Stimmen und die Schwierigkeiten, den eigenen Körper wahrzunehmen.
Damals wusste ich das nicht. Damals dachte ich: So bin ich eben.
Aber warum ich so war - und dass ich daran etwas ändern kann (und vor allem wie) - das hat sich mir erst in den letzten Jahren erschlossen.
Gleich zu Beginn der Ausbildung stand die sogenannte „Lebensentladung“ auf dem Plan. Das war definitiv eine Nummer zu groß für mich: sowohl das Format (A3) als auch das Thema der Zeichnung. Es ging um nicht weniger als mein ganzes bisheriges Leben - und das waren damals immerhin schon 50 Jahre.
Das kann ich definitiv nicht empfehlen, dir so quasi alle Themen deines Lebens in einem Bild anzuschauen - es sei denn, du hast das meiste davon bereits gut aufgearbeitet.
Auch im weiteren Verlauf der Ausbildung gab es immer wieder diese überfordernden Momente. Im Rückblick kann ich sagen: Sie traten immer dann auf, wenn es um Unsicherheit, Widerstand oder starke Emotionen ging.
Ich wusste damals gar nicht, dass ich oft zu traumabedingten Themen zeichnete. Aber zum Glück hat die NeuroGraphik da so einiges „eingebaut“, was beim Zeichnen für Sicherheit sorgt.
Sicherer Rahmen
Die NeuroGraphik bietet mit dem Basisalgorithmus einen klaren Leitfaden – eine Art Struktur für die einzelnen Schritte eines Prozesses. Diese Schritte waren für mich wie Leitplanken und Hinweisschilder. Wenn ich mal lost war, wusste ich dadurch immer, wie ich weitermachen konnte.
Selbstbeobachtung
Die Selbstwahrnehmung während des Zeichenprozesses - auf den verschiedenen Ebenen: Körper, Gefühle/Emotionen, Gedanken und innere Bilder - hat mir immer wieder geholfen, Abstand zu gewinnen. Besonders hilfreich war dabei auch das Aufschreiben meiner Wahrnehmungen.
Ich bin nicht meine Gedanken, ich bin nicht meine Gefühle.
Abstand
Nicht nur das Aufschreiben, sondern natürlich auch das Zeichnen selbst diente dazu, das Problem sozusagen „aus mir herauszuholen“. Diese Form des Ausdrucks hilft, mit Abstand auf etwas zu schauen, das sonst vielleicht zu nah, zu intensiv oder zu überwältigend gewesen wäre. Und: Sie schafft Überblick.
Gemeinschaft
In der NeuroGraphik-Trainer:innen-Ausbildung war ich Teil einer festen Supervisionsgruppe. Dieser regelmäßige Austausch mit Mitlernenden und das Feedback einer erfahrenen Supervisorin waren sehr wertvoll für mich. Denn so machte ich immer wieder die Erfahrung: Ich bin nicht allein. Und: Die anderen haben ähnliche Themen.
All das hat mich damals getragen - und doch weiß ich heute, dass ich manches anders angehen würde.
Damals habe ich mir oft Stress gemacht, das ziemlich straffe Programm der Ausbildung zu schaffen.(Vielleicht bist du gar nicht in einer NeuroGraphik-Ausbildung – aber ich vermute, dass das Thema Druck dir trotzdem bekannt vorkommt.)
Heute hätte ich nicht mehr den Anspruch, alles zu den gesetzten Terminen zu schaffen - ich würde mehr Pausen machen.
Ich würde nicht versuchen, mich an das System oder an äußere Vorgaben anzupassen – sondern die Bedingungen möglichst so gestalten, dass sie zu mir passen.
Ich würde mir - und allem was während des Zeichnens auftaucht - mit mehr Mitgefühl begegnen.
Kurz gesagt: Ich würde viel mehr auf mich und meine Bedürfnisse achten - und sie auch ernst nehmen - und mich nicht dafür verurteilen.
Lass dir Zeit – und setz dich nicht unter Druck.
Dein Tempo sollte dein Nervensystem bestimmen, nicht dein Kalender. Es ist okay, Pausen zu machen oder eine Zeichnung an einem anderen Tag weiterzuführen.
Sorge gut für dich – vor, während und nach dem Zeichnen.
Das können einfache Dinge sein: einen angenehmen Ort wählen, etwas zu trinken bereitstellen, für Ruhe sorgen. Plane auch danach noch Zeit ein, um das Erlebte wirken zu lassen, bevor der nächste Termin oder die nächste Aufgabe ansteht.
Sicherheit vor Tiefe.
Baue erst Ressourcen auf, bevor du dich schwierigen Themen näherst. Achte auch darauf, dass du dich mit der Methode und den Abläufen der NeuroGraphik sicher fühlst, bevor du tiefergehende Prozesse angehst. Hier erfährst du mehr: Ressourcen aktivieren mit NeuroGraphik - ein Erfahrungsbericht.
Kenne deine Grenzen – und erkenne Warnsignale.
Deine „Grenzen“ sind im Prinzip dein Stresstoleranzfenster. Wenn du die Warnzeichen kennst (z. B. innere Unruhe, Gedankenrasen oder Anspannung), kannst du rechtzeitig gegensteuern und im sicheren Bereich bleiben. In diesem Artikel erfährst du mehr über Stress beim Zeichnen und wie du damit umgehen kannst.
Vergleiche dich nicht.
Dein Prozess ist einzigartig. Es gibt nicht den einen richtigen Weg – es gibt viele richtige Wege.
NeuroGraphik kann ein wertvolles Werkzeug sein – auch bei traumanahen Themen. Der Schlüssel ist, wie du damit arbeitest. Und vor allem: mit welcher Haltung du dir begegnest. Diese Haltung sollte wohlwollend, achtsam und ressourcenorientiert sein – immer mit Blick auf deine eigene Belastbarkeit.
Das gelingt am besten, wenn du bereits etwas Erfahrung mitbringst: mit NeuroGraphik, mit Selbstreflexion, vielleicht auch mit Coaching oder therapeutischer Begleitung. Und wenn du über Möglichkeiten verfügst, dich gut selbst zu regulieren - also dich innerlich zu stabilisieren, wenn es intensiver wird. Wenn das (noch) nicht der Fall ist, dann arbeite bitte nicht allein an tiefergehenden Themen.
Vielleicht hast du dich beim Lesen wiedererkannt. Vielleicht hast du gespürt: Ja, da ist etwas. Ich möchte mehr mit mir und meinen Themen in Kontakt kommen – und die NeuroGraphik dabei nutzen. Wenn du dir Begleitung auf diesem Weg wünschst oder einfach Fragen hast, dann melde dich gern bei mir.
Ich begleite dich traumasensibel, achtsam und mit dem Blick auf deine Ressourcen.
Du musst nicht alles allein machen.
Was denkst du?